Ein verzagtes Herz wird trotz allen Könnens geschlagen: Umgang mit Angst und Selbstzweifeln
Ist es Ihnen schon einmal passiert, dass Sie sich auf einen wichtigen Termin vorbereitet haben – tagelang, wochenlang, vielleicht sogar monatelang – und dennoch, je näher dieser Termin rückte, desto größer wurde Ihre Nervosität? Lassen Sie uns gemeinsam in die Fechthalle eintreten, um exemplarisch einen Freikampf zu betrachten. Eine zentrale Regel im taktischen Aufbau eines Zweikampfes lautet: Bevor Sie angreifen, sollten Sie so viel wie möglich über Ihre Gegnerin oder Ihren Gegner in Erfahrung bringen. Im Fechten geschieht dies durch technisches Ausforschen und gezielte Provokationen, um deren Taktiken zu ergründen und die eigene Strategie darauf abzustimmen.
Der Ursprung der Fechtkunst
Die Prinzipien, die wir heute in der Fechthalle trainieren, haben ihre Wurzeln im 14. und 15. Jahrhundert. Damals gab es sogenannte gerichtliche Zweikämpfe, bei denen vor Gericht die Schuldfrage durch das Schwert geklärt wurde. In den Fechtbüchern jener Zeit finden sich eindrucksvolle Abbildungen, die zeigen, wie die beiden Kontrahenten mit ihren Särgen und zwei Sekundanten zum Kampfplatz schreiten, während ein Richter das Geschehen beaufsichtigt. Man kann sich nur schwer vorstellen, welcher immense Druck auf diesen Kämpferinnen und Kämpfern lastete. Ein mittelalterlicher Fechtmeister schrieb in seinem Fechtbuch: „Ein verzagtes Herz wird trotz allen Könnens geschlagen.“
Diese Aussage ist aufschlussreich, denn sie verdeutlicht, dass Können zwar bedeutete, vorbereitet zu sein, doch selbst die beste Vorbereitung konnte nichts ausrichten, wenn das Herz verzagt war. An anderer Stelle heißt es: „Erschrickst du gern, kein Fechten lern!“ Wenn die Angst überhandnimmt, hilft alle Fertigkeit nichts – man wird unterliegen. In unserer modernen Welt finden wir uns glücklicherweise selten in derart furchteinflößenden Situationen wieder. Dennoch bereiten wir uns auf Prüfungen oder Vorträge vor, indem wir unser Wissen und unsere Expertise vertiefen. Und doch kennen wir alle das Unbehagen, das vor einer Herausforderung aufsteigen kann.
Die Rolle der Angst und Ungewissheit
Auch wenn wir bestens vorbereitet sind, können wir vor einer Prüfungssituation stehen, die wir nicht vollständig einschätzen können – und Angst verspüren. Unser Gehirn, das Ungewissheit hasst, schlägt Alarm. Diese Unsicherheit kann uns den Zugang zu unseren Ressourcen verwehren, trotz aller Vorbereitung. In der modernen Fechthalle ist es daher von entscheidender Bedeutung, den Gegner genau zu beobachten und so viele Informationen wie möglich zu sammeln, um die Situation greifbarer zu machen. Je mehr Sie wissen, desto besser können Sie Ihre Fähigkeiten nutzen.
In meinen Seminaren zur mentalen Stärke bringe ich den Teilnehmenden nicht nur die Grundhiebe und Paraden bei, sondern auch, wie man in Zweierübungen Paraden prüft. Dabei führe ich einen Hieb aus, den die Teilnehmenden so parieren sollen, dass sie sich sicher fühlen. Anschließend simuliere ich denselben Angriff, lasse ihn jedoch intensiver und kraftvoller erscheinen. Die Teilnehmenden bekommen große Augen, erschrecken sich – und das Resultat: Die Parade bleibt aus! Obwohl sie wissen, wie sie reagieren sollten, und obwohl sie wissen, dass das Seminar ein sicherer Ort ist, reagieren sie instinktiv und verharren angesichts der scheinbaren Gefahr in einem Gedanken:
Der „Was wäre wenn?“-Gedanke
Diese Übung zeigt eindrucksvoll, wie uns die Frage „Was ist, wenn?“ sabotieren kann. „Was ist, wenn der Hieb wirklich so schnell kommt?“ „Was ist, wenn ich nicht schnell genug pariere?“ Diese Gedanken führen dazu, dass wir keinen Zugriff auf unsere Fähigkeiten haben, obwohl wir sie besitzen. Diese Unsicherheit lässt sich auf den Alltag übertragen: Wie oft stellen wir uns diese Frage im Kopf? Sie kann dazu führen, dass wir die Situation größer machen, als sie ist, oder uns selbst kleiner sehen, als wir sind.
Erlauben Sie mir einen kleinen Exkurs in eine Geschichte, die viele von Ihnen sicherlich aus der Kindheit kennen: Lukas der Lokomotivführer. Eines Tages trifft er auf einen scheinbar riesenhaften Gegner und bekommt es mit der Angst zu tun. Doch je näher dieser Riese kommt, desto kleiner wird er, bis er direkt vor Lukas steht und ihm in Größe ebenbürtig ist. Der Riese stellt sich als „Scheinriese“ vor. Diese Metapher zeigt, wie wir oft Unbekanntes größer machen, als es tatsächlich ist – und im Zuge dessen lieber schon im Vorfeld das Weite suchen. Unser Gehirn speichert solche Erfahrungen ab, und auch beim nächsten Mal vermeiden wir große Herausforderungen, weil wir denken, sie nicht meistern zu können.
Die richtige Perspektive einnehmen
Es ist entscheidend, bei der Vorbereitung auf Herausforderungen zwei Dinge zu berücksichtigen: Erstens die fachliche Vorbereitung, zweitens die Perspektive, aus der wir auf die bevorstehende Aufgabe blicken. Fehlen uns Informationen? Haben wir Ängste, die wir hinterfragen sollten? Blicken wir auf einen realen Berg oder auf einen Scheinriesen? Es ist wichtig, mit frohem Mut und festem Herzen voranzugehen und zu prüfen, ob die Herausforderungen wirklich so groß sind, wie sie erscheinen.
Ein verzagtes Herz wird trotz allen Könnens geschlagen. Doch ein fröhliches, mutiges Herz, das ohne Furcht agiert, kann große Ziele erreichen. In diesem Sinne lade ich Sie ein, mutig voranzuschreiten und Ihre Herausforderungen anzugehen. Prüfen Sie, ob es wirklich ein Riese ist oder nur ein Scheinriese.
Meine Podcast-Folge dazu finden Sie hier und unter https://christianbott.de/podcast. Ich lade Sie herzlich ein, meinen Podcast zu abonnieren – so kann ich Ihnen in den kommenden Folgen noch mehr aus dem Land der Riesen erzählen.
Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit und bis zum nächsten Mal,
Ihr Trainer und Coach
Christian Bott.
Bild von Stefan Klee auf Pixabay