Entdecken und Verteidigen Sie Ihre Grenzen: Ein Leitfaden für den Alltag
Heute möchte ich Ihnen eine Frage stellen, und ich lade Sie ein, kurz innezuhalten und darüber nachzudenken: Was sind Ihre Grenzen?
Welche Grenze kam Ihnen in den Sinn? Vielleicht haben Sie zunächst an etwas gedacht, das Sie einschränkt oder beschränkt. Doch das wäre nicht ganz im Sinne meiner Frage, denn ich frage nicht nach den Grenzen, die von außen aufgestellt werden und Ihnen sagen, wohin Sie nicht gehen sollen. Ich frage nach Ihren eigenen Grenzen – jenen, die Sie selbst ziehen und letztlich auch verteidigen müssen. Ihre Grenzen sind die, über die andere nicht hinweggehen dürfen. Und zwar nicht nur, weil es ein Gesetz so vorschreibt – sondern vor allem, weil Sie es so festlegen: „Bis hierhin und nicht weiter.“ Sagen Sie das?
Die Notwendigkeit, eigene Grenzen zu setzen
Grenzen sind nicht einfach da; sie werden bewusst gesetzt. Ihre persönlichen Grenzen können nur Sie selbst ziehen, zumindest ab einem gewissen Alter. Haben Sie das getan? Gibt es diese klaren Linien, an denen andere erkennen, dass sie hier nicht weitergehen sollten? Und wie genau sehen diese Grenzen aus? Wie verteidigen wir sie?
Fechten als Metapher für Grenzsetzung
Lassen Sie mich Sie wieder in meine Fechthalle mitnehmen. Als Fechtmeister bereite ich Menschen auf Freikämpfe und Wettkämpfe vor oder nehme selbst daran teil. Stellen Sie sich Folgendes vor: Sie stehen mit Ihrem Schwert vor jemandem und halten genügend Abstand, sodass Sie sich nicht bedroht fühlen. Dank guter Ausbildung sind Sie sicher in Ihrer Technik. Doch dann kommt der Moment, in dem Ihr Gegenüber näher tritt. Es gibt einen Punkt, an dem Sie spüren, dass Ihre Entspannung in Aufmerksamkeit und Anspannung übergeht. Diesen Moment nenne ich im Freikampftraining den Aufmerksamkeitsbereich. Hier findet die meiste Zeit des Kampfes statt – ein Bereich der intensiven Kommunikation. Doch wenn Ihr Gegner weiter vorrückt, gibt es einen Moment, in dem Sie das Bedürfnis verspüren, aktiv zu werden, um die Situation zu verändern. Diesen Bereich nenne ich den Aktionsbereich.
Grenzbereiche im Alltag erkennen
Dieser Grenzbereich existiert nicht nur in der Fechthalle. Probieren Sie es einmal im Alltag: Stehen Sie an einer Bushaltestelle und möchten jemanden fragen, wann der nächste Bus fährt. Wie nähern Sie sich dieser Person? Kommen Sie so nah heran, dass nur eine Handbreit zwischen Ihren Nasenspitzen bleibt und stellen dann Ihre Frage? Dann stehen Sie tief im Aktionsbereich des anderen – und das wird Ihnen sofort auffallen. Die meisten Menschen werden instinktiv zurücktreten und Sie vielleicht sogar fragen, ob Sie ein Problem mit Nähe haben. Sie verstehen also, was ich meine: Es gibt einen Bereich, in dem wir das Gefühl haben, „hier ist es zu nah“.
In der Selbstverteidigung spricht man von der Komfortzone, genauso wie in der Kommunikation. Dieser Komfortbereich ist der persönliche Raum, in dem man niemanden ungebeten haben möchte. Solange wir körperlich interagieren – sei es im Schwertkampftraining oder an der Bushaltestelle – können wir diesen Raum räumlich wahrnehmen und sofort reagieren. Doch im alltäglichen Miteinander, in diffusen sozialen Interaktionen, ist das nicht immer so klar spürbar. Und genau das macht es so schwierig. Im Schwertkampftraining oder an der Bushaltestelle können Sie sofort handeln, wenn es Ihnen unangenehm wird, und die Situation verändern. Im Alltag ist dies oft komplizierter.
Offensivität vs. Aggressivität
Wenn jemand Ihnen – bleiben wir bei diesem Bild – so nah kommt, dass es unangenehm wird, dann erleben Sie eine Form von Übergriffigkeit, auch in einem Gespräch. Es ist wie im Schwertkampf: Sie spüren das Bedürfnis, die Person zurückzuweisen oder sich zu distanzieren. Das ist eine offensive Reaktion. Im Schwertkampf selbstverständlich. Sie können entweder einen Schritt zurücktreten oder angreifen. Das ist legitim; schließlich befinden wir uns im Fechten. Im Alltag hingegen empfinden wir offensives Verhalten oft als unangemessen. Unsere Erziehung hat uns gelehrt, dass es unhöflich oder gar aggressiv ist, klar Grenzen zu setzen. Doch „Du stehst gerade in einem Bereich, der mir unangenehm ist. Ich möchte nicht, dass du mir so nah kommst.“ – diese Worte könnten in vielen Bereichen des Lebens ausgesprochen werden. Sei es in einem Verkaufsgespräch, in dem der Verkäufer verbal zu schnell voranschreitet und Sie sich überrumpelt fühlen, oder in sozialen Interaktionen, in denen Sie das Gefühl haben, dass jemand zu sehr in Ihren persönlichen Raum eindringt. Auch hier gilt: Wir müssen unsere Grenzen verteidigen, sonst fühlen wir uns überrannt.
Grenzen in verschiedenen Lebensbereichen
Es gibt viele Situationen, in denen Menschen Ihre Grenzen überschreiten können. Lassen Sie mich ein Modell verwenden, das ich oft nutze: Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Bereich, in dem Sie zu Hause sind, dann einen angrenzenden Vorgarten und schließlich einen Gehweg. Der Gehweg ist der öffentliche Raum, in dem sich Menschen frei bewegen können. Der Vorgarten markiert den Übergang zu Ihrem privaten Bereich, Ihrem innersten Rückzugsort. Warum haben wir diesen Vorgarten? Weil wir nicht möchten, dass Menschen direkt an unserem innersten Bereich sind. Wie merken nun Leute, dass Ihr Vorgarten nicht mehr Teil des Gehwegs ist? Ganz einfach, wir bauen einen Zaun. Das ist eine aktive Handlung.
Das Setzen und Verteidigen von Grenzen
Dieser Zaun kommuniziert Ihre Grenze. Er signalisiert: „Hier ist mein Raum, und den musst du respektieren.“ Im Alltag haben wir jedoch keinen physischen Zaun, der unsere Grenzen sichtbar macht. Menschen betreten manchmal unwissentlich unseren Vorgarten. Die einfachste Lösung ist, freundlich darauf hinzuweisen und zu bitten, einen Schritt zurückzutreten. Derjenige wird wahrscheinlich überrascht sein und sich entschuldigen. Doch wenn Sie Ihre Grenze nicht kommunizieren, bleibt der andere dort stehen, vielleicht macht er es sich sogar bequem, und irgendwann staut sich bei Ihnen der Ärger auf.
Konsequenzen und der richtige Umgang mit Grenzen
Wenn Grenzen nicht klar kommuniziert werden, steigt der innere Druck, bis er sich irgendwann in einem Ausbruch entlädt. Die andere Person wird überrascht sein und nicht verstehen, was passiert ist, weil sie nicht wusste, dass sie eine Grenze überschritten hat. Sie könnten sich dann sogar schuldig fühlen, weil Sie zu lange gewartet haben, um Ihre Grenze zu setzen. Doch es ist wichtig zu erkennen, dass offensives Verhalten – das Setzen und Verteidigen von Grenzen – nicht aggressiv ist. Im Gegenteil: Es ist notwendig, um Übergriffe zu verhindern und ein gesundes Miteinander zu ermöglichen.
Ich möchte Sie dazu einladen, sich Ihrer Grenzen bewusst zu werden und diese klar zu kommunizieren. Es fällt nicht immer leicht, besonders wenn man darauf bedacht ist, Harmonie zu bewahren. Doch es ist essenziell für ein gesundes und respektvolles Miteinander.
Fazit
Erstens: Sie haben das Recht, Grenzen zu setzen. Zweitens: Es fällt vielen schwer, diese zu verteidigen – und damit sind Sie nicht allein. Wenn Ihnen das schwerfällt, beginnen Sie mit kleinen Schritten. Sagen Sie in einfachen Situationen „Nein“. Üben Sie das Kommunizieren Ihrer Grenzen und beobachten Sie, wie andere reagieren. Oft ist die Reaktion weniger dramatisch, als Sie befürchten.
Wenn Sie auf Menschen stoßen, die Ihre Grenzen bewusst überschreiten, können wir in anderen Beiträgen hier im Blog oder im Podcast genauer darauf eingehen, wie man damit umgeht. Fürs Erste lade ich Sie ein, ein liebevolles „Nein, danke“ zu üben und Ihre eigenen Grenzen zu entdecken und zu verteidigen. Ein „Nein“ für Ihr Gegenüber ist immer auch ein „Ja“ für Sie selbst.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Erfolg beim liebevollen Entdecken und Verteidigen Ihrer Grenzen.
Mehr dazu erfahren Sie in meiner Podcast-Folge. Wenn Sie Fragen oder Anregungen haben, hinterlassen Sie gerne einen Kommentar und abonnieren Sie meinen Podcast (https://christianbott.de/podcast).
Herzliche Grüße!
Ihr Trainer und Coach
Christian Bott