Über Enttäuschung, Niederlagen und die Gefahr des Selbstbetrugs
Heute möchte ich mit Ihnen über ein Thema sprechen, das uns alle betrifft: Enttäuschungen, Niederlagen und eine besondere Form des Selbstbetrugs. Lassen Sie uns zunächst mit einer Frage beginnen: Kennen Sie die Situation, in der Sie vor einer Herausforderung stehen, die so gewaltig erscheint, dass Sie sich sagen: „Wenn ich das nicht schaffe, ist es auch in Ordnung. Ich werde mir nicht böse sein, ich werde es mir verzeihen und trotzdem erhobenen Hauptes vom Platz gehen. Aber ich will es versuchen.“ Diese Art von Momenten kennen wir alle, und genau deshalb möchte ich Sie in eine sehr aktuelle Situation mitnehmen, die dies exemplarisch verdeutlicht.
Eine Lektion aus dem Fußball
Lassen Sie uns an das kürzlich stattgefundene Fußballspiel zwischen Deutschland und Spanien bei der Europameisterschaft denken. Auch wenn Sie kein Fußballfan sind, ist das, was dort passiert ist, universell nachvollziehbar. Die deutsche Mannschaft hatte bis zu diesem Zeitpunkt gut performt, die Erwartungen waren hoch, und gleichzeitig war klar: Die spanische Mannschaft war der geheime Favorit. - Eine enorme Herausforderung!
Viele von uns dachten vor dem Spiel: „Wenn Deutschland gegen Spanien verliert, dann ist das in Ordnung. Es wäre keine Schande, gegen einen solch starken Gegner zu unterliegen.“ Doch dann begann das Spiel, und beide Mannschaften begegneten sich auf Augenhöhe. Als das Spiel in die Verlängerung ging, schien es sogar möglich, dass die deutsche Mannschaft siegen könnte. Doch kurz vor Schluss erzielten die Spanier das entscheidende Tor, und die Enttäuschung war riesig.
Die unerwartete Größe der Enttäuschung
Diese Enttäuschung, die sich in den Gesichtern der Spieler und des Trainers widerspiegelte, war unbeschreiblich. Man fragt sich, warum diese Enttäuschung so groß war, obwohl man sich im Vorfeld gesagt hatte: „Es ist okay, wenn wir verlieren.“ Der Grund ist, dass die Enttäuschung wächst, je näher man dem Erfolg kommt. Plötzlich steigt die Erwartung, die Hoffnung, dass das Unmögliche doch möglich ist. Wenn es dann doch nicht gelingt, ist der Schmerz umso größer – viel größer, als wenn man nie so nah dran gewesen wäre.
Dieses Phänomen kennen wir nicht nur aus dem Sport, sondern auch aus unserem eigenen Leben. Ob es um Prüfungen, berufliche Herausforderungen oder persönliche Ziele geht – die Enttäuschung trifft uns am härtesten, wenn wir kurz vor dem Ziel scheitern.
Die Gefährlichkeit der Enttäuschung
Enttäuschung ist ein gefährliches Gefühl, vor allem, wenn wir sie gegen uns selbst richten. Wenn wir nach einem Misserfolg sagen: „Ich bin enttäuscht von mir selbst,“ dann kann das verheerende Folgen haben. Enttäuschung sucht immer ein Ziel, einen Schuldigen. Wenn Sie beginnen, sich selbst die Schuld zu geben, entsteht schnell das Gefühl, dass Sie nicht gut genug sind, dass Sie Ihre eigenen Erwartungen nicht erfüllt haben.
Ich erlebe das oft bei meinen Fechtschülerinnen und -schülern, die nach einem Turnier zu mir kommen und sagen: „Ich dachte, ich wäre besser.“ Das kann nach einem Fechtturnier passieren, bei einer Prüfung an der Universität, in der Schule, bei einem Bewerbungsgespräch oder einem Audit – die Situation ist austauschbar, aber das Gefühl bleibt dasselbe.
Der Selbstbetrug nach dem Misserfolg
Das gefährliche an der Enttäuschung ist, dass sie uns dazu verleitet, an uns selbst zu zweifeln. Wenn wir uns selbst in Frage stellen, besteht die Gefahr, dass wir aufhören, an uns zu glauben. Wir fangen an, unser Selbstbild herabzustufen, uns für schlechter zu halten, als wir sind. Dies kann in einigen Fällen ein Weckruf sein, wenn wir uns wirklich überschätzt haben, aber oft ist es eine destruktive Gedankenschleife.
Wenn Sie im Vorfeld wussten, dass die Herausforderung groß ist und es möglich ist, dass Sie scheitern, dann sollten Sie vorsichtig sein, die Enttäuschung über den Misserfolg zu sehr wachsen zu lassen. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass Sie alles gegeben haben, und dass es in Ordnung ist, nicht immer zu gewinnen.
Ein Aufruf zur Selbstreflexion
Deshalb möchte ich Sie dazu ermutigen, sensibel mit Enttäuschungen umzugehen. Fragen Sie sich selbst: War meine Enttäuschung gerechtfertigt? Habe ich im Vorfeld wirklich erwartet, dass ich die Herausforderung problemlos meistere? Wenn Sie ehrlich zu sich selbst sind und feststellen, dass Ihre Erwartungen möglicherweise überzogen waren, dann versuchen Sie, Abstand von der Enttäuschung zu gewinnen. Sprechen Sie mit Freundinnen, Trainern oder Coaches darüber, um einen klaren Kopf zu bekommen und diese Gedankenschleife zu durchbrechen.
Enttäuschungen sind ein Teil des Lebens, aber lassen Sie nicht zu, dass sie Sie davon abhalten, Ihre Ziele zu verfolgen und an sich zu glauben.
Vielen Dank, dass ich diese Gedanken mit Ihnen teilen durfte. Es ist ein spannendes Feld, wie wir Menschen mit Herausforderungen und Erwartungen umgehen und wie wir uns manchmal selbst betrügen, indem wir uns einreden, wir hätten unbedingt gewinnen müssen, obwohl wir wussten, dass der Erfolg nicht garantiert war.
Ich lade Sie ein, in meine Podcast reinzuhören und wünsche Ihnen eine gute Woche.
Ihr Trainer und Coach
Christian Bott
Bild von Pixabay