Wie weit können Sie springen?
Lassen Sie mich mit einer einfachen Frage beginnen: Wie weit können Sie springen? Oder anders gefragt, wie weit sollte ein Erwachsener Ihrer Meinung nach springen können? Wenn jemand Anlauf nimmt und über einen etwa fünf Meter breiten Bach springt – ist das weit? Diese Frage lässt sich nur schwer beantworten, da uns eine Vergleichsgröße fehlt. Um ein solches Urteil zu fällen, müssten wir viele Menschen springen lassen und einen Durchschnitt ermitteln. Doch was ist der aktuelle Weltrekord im Weitsprung? Er liegt bei knapp neun Metern.
Der Vergleich als Bewertungsmaßstab
Das Thema, das ich heute ansprechen möchte, dreht sich um unsere Fähigkeit – oder manchmal auch Unfähigkeit – Dinge ohne Vergleich zu beurteilen. Schon in der Schulzeit lernen wir, uns selbst anhand von Vergleichen zu bewerten. Eine Note „Zwei“ ist nur gut, wenn der Klassendurchschnitt bei „Vier“ liegt. Doch was, wenn die „Vier“ die beste Note in einer ansonsten schlechten Klasse ist? Ist sie dann nicht auch eine gute Note?
Vergleich ist das, was uns hilft, unsere eigene Leistung, unser Können und unsere Fortschritte einzuschätzen. Dies gilt nicht nur für schulische Leistungen, sondern auch für den Sport und andere Lebensbereiche. Im modernen Sport sind Wettkämpfe und Weltrekorde fest etabliert, um eine Vergleichsgröße zu schaffen. Ähnlich erlebe ich dies in meiner Fechthalle. Hier vergleichen sich die Fechter:innen oft mit anderen, um ihre eigene Leistung zu bewerten. Besonders deutlich wird dies bei Turnieren: Glaubt eine Fechter:in, gut zu sein, und scheitert dennoch in der Vorrunde, so hinterfragt sie schnell ihre Fähigkeiten.
Der ständige Vergleich: Ein zweischneidiges Schwert
Wir vergleichen uns permanent – bewusst und unbewusst. Wir vergleichen Leistungen, Aussehen, Erfolge. Im Sport ist das völlig normal und auch wichtig. Doch was passiert, wenn dieser Vergleich zum Maß aller Dinge wird? Wenn zwei Fechter:innen gleichzeitig im Training beginnen und eine von beiden nach einer längeren Pause zurückkommt, entsteht oft der Eindruck, den Anschluss verloren zu haben. Besonders problematisch wird es, wenn Gruppen von Freunden gemeinsam beginnen und einer von ihnen aus verschiedenen Gründen zurückfällt. Der Gedanke, „Ich schaffe das nie wieder“ kann schnell zum Hindernis werden.
Motivation oder Hemmung?
Vergleiche können motivieren, aber sie können auch hemmen. Die Frage ist, ob uns der Vergleich mit anderen anspornt oder ob er uns entmutigt. Wenn wir uns mit jemandem messen, der weiter ist als wir, stellt sich die Frage, ob wir bereit sind, denselben Weg zu gehen, den dieser Mensch gegangen ist. Häufig übersehen wir, dass hinter jedem Erfolg eine Geschichte von Anstrengung und Entbehrung steht, die wir vielleicht gar nicht bereit sind, auf uns zu nehmen.
Der Einfluss der Lebensumstände
Bei Vergleichen vergessen wir oft die individuellen Lebensumstände. Die Frage ist nicht nur, ob wir denselben Weg hätten gehen können, sondern auch, ob wir unter den damaligen Umständen bereit gewesen wären, dies zu tun - ob wir dies hätten tun WOLLEN. Vergleiche lassen oft außer Acht, dass jeder Mensch seine eigene Geschichte und seine eigenen Herausforderungen hat. Statt sich von der Leistung anderer beeindrucken oder gar entmutigen zu lassen, sollten wir uns fragen, ob wir die gleichen Möglichkeiten und Ressourcen gehabt hätten.
Der gesunde Vergleich: Blick nach vorn statt zurück
Vergleiche können nützlich sein, wenn sie uns helfen, unser Potenzial zu erkennen und uns Ziele zu setzen. Doch sie sollten uns nicht in die Vergangenheit blicken lassen und uns fragen, was hätte sein können. Ein Vergleich ist dann sinnvoll, wenn er uns motiviert, nach vorne zu schauen und die nötigen Schritte zu unternehmen, um unsere Ziele zu erreichen.
Wenn Sie sich mit anderen vergleichen, hinterfragen Sie, ob das, was Sie anstreben, wirklich zu Ihnen passt. Möchten Sie denselben Weg gehen wie die Person, mit der Sie sich messen? Wenn die Antwort ja ist, dann zögern Sie nicht und gehen Sie diesen Weg. Doch wenn der Zug bereits abgefahren ist oder der Weg nicht mehr gangbar erscheint, dann lassen Sie den Vergleich hinter sich und konzentrieren Sie sich auf Ihren eigenen, ganz individuellen Weg.
Fazit: Der Vergleich als Wegweiser, nicht als Hindernis
Vergleiche können inspirierend sein, doch sie sollten uns nicht beherrschen. Es ist wichtig, dass wir uns unserer eigenen Ziele und Werte bewusst bleiben und uns nicht von den Erfolgen anderer erdrücken lassen. Gehen Sie Ihren eigenen Weg, mit dem Wissen, dass dieser Weg der beste für Sie ist – besser als der Weg eines anderen.
Ich wünsche Ihnen eine erfüllte Woche voller positiver Vergleiche und motivierender Ziele und einem klaren „Ja“ zu sich selbst und Ihren Visionen.
Ihr Trainer und Coach
Christian Bott
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