Verstecken Sie Ihre Schwächen?
Vor einiger Zeit sah ich auf einem T-Shirt eine Aufschrift, die mich nachhaltig beschäftigte: „Hide your targets“. Als Fechtmeister sprach mich dieser Satz zunächst an. Doch bei näherer Betrachtung wirft diese einfache Aufforderung Fragen auf, die weit über die Fechthalle hinausgehen.
Im Kontext des Fechtens könnte man „target“ zunächst als „Ziel“ übersetzen – etwas, das man angreifen möchte. Doch viele Fechterinnen und Fechter interpretierten „target“ hier als „Blöße“, also jene Schwachstellen, die es zu verbergen gilt. Doch genau dieser Gedanke – das Verbergen der eigenen Schwächen – ist es, der mir widerstrebt.
Was bedeutet es, Schwächen zu verstecken?
„Hide your targets“ – Verstecke deine Blößen. Klingt auf den ersten Blick nach einem klugen Ratschlag, oder? Doch im Fechten und im Leben ist dieser Ansatz problematisch. Warum? Ganz einfach: Sobald Sie beginnen, Ihre Schwächen zu verstecken, richten Sie unweigerlich Ihre Aufmerksamkeit auf diese Schwächen. Ihre Gedanken kreisen darum, wie Sie sie verbergen können, und Ihr Gegenüber wird unbewusst dorthin geführt, wo Ihr Fokus liegt. Im Fechten bedeutet das, dass Ihr Gegner genau weiß, wo er angreifen muss. Und im Alltag?
Die Blößen im Alltag
Die Frage „Was sind Ihre Blößen?“ ist tiefgehend und komplex. Jeder von uns hat Bereiche, in denen wir uns verletzlich fühlen, sei es in Konfliktsituationen, bei Herausforderungen im Beruf oder im persönlichen Umfeld. Diese Blößen sind oft mit unseren Ängsten und Unsicherheiten verbunden. Doch anstatt sie zu verstecken, sollten wir lernen, mit ihnen umzugehen.
Wenn wir versuchen, unsere Schwächen zu verbergen, investieren wir Energie in ein Vorhaben, das zum Scheitern verurteilt ist. Niemand kann seine Blößen auf Dauer verstecken. Stattdessen sollten wir uns fragen: Wie kann ich mit meinen Schwächen umgehen? Wie kann ich sie in meine persönliche Strategie integrieren? Im Fechten lehre ich nicht, Blößen zu verstecken, sondern sie zu verteidigen und in die eigene Taktik einzubauen.
Der falsche Fokus
Der Satz „Hide your targets“ suggeriert, dass wir unsere Schwächen verstecken sollten, um unangreifbar zu werden. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Wenn wir unsere Blößen verstecken, fixieren wir uns darauf und geben ihnen eine viel größere Bedeutung, als sie verdienen. Das führt dazu, dass wir uns ständig in einer Verteidigungshaltung befinden, anstatt proaktiv zu handeln.
Im Alltag spiegelt sich dies wider, wenn wir versuchen, uns gegenüber anderen oder sogar vor uns selbst besser darzustellen, als wir uns fühlen. Doch genau hier liegt die Gefahr: Wir verlieren zunächst Glaubwürdigkeit und Sympathie und auf Dauer den Kontakt zu uns selbst, weil wir uns auf das Verstecken unserer Schwächen konzentrieren, anstatt uns mit ihnen auseinanderzusetzen und sie zu akzeptieren.
Der Weg zur Stärke
Eine Schwäche ist nicht etwas, das wir verstecken oder eliminieren müssen. Sie ist ein Teil von uns, der uns auch besondere Fähigkeiten und Einfühlungsvermögen verleihen kann. Jemand, der sich in großen Menschengruppen unwohl fühlt, könnte gleichzeitig eine hohe Empathie und Sensibilität für die Stimmungen anderer haben. Diese „Schwäche“ ist in Wahrheit eine besondere Gabe, die es zu nutzen gilt.
Deshalb plädiere ich dafür, den Begriff „Schwäche“ nicht länger in einem negativen Licht zu sehen. Stattdessen sollten wir uns fragen, wie wir diese Aspekte unserer Persönlichkeit akzeptieren und integrieren können. Es geht nicht darum, perfekt zu sein, sondern authentisch und ehrlich mit sich selbst umzugehen.
Schlussgedanken
Die Botschaft ist klar: Verstecken Sie nicht Ihre Blößen. Lernen Sie, sie zu erkennen, zu akzeptieren und in Ihre persönliche Taktik einzubauen. Niemand ist perfekt, und das ist auch gut so. Unsere Schwächen machen uns menschlich und nahbar. Sie geben uns die Möglichkeit, uns weiterzuentwickeln.
Ich freue mich auf Ihr Feedback und Ihre Gedanken zu diesem Thema und wünsche Ihnen Mut, Ihre Blößen zu erkennen und sich ihnen zu stellen.
Ihr Trainer und Coach
Christian Bott
Bild von Daniel Reche auf Pixabay